Gut Temmen
Der Weideschuss bei Rindern gilt als die Variante, die für die Tiere am wenigsten mit Stress verbunden ist und sich somit am schonendsten darstellt. Besonders geeignet für Weiderinder, die ganzjährig draußen leben und den Kontakt zu Menschen kaum kennen. Daher haben wir uns in der letzten Woche näher damit beschäftigt und einen Betrieb in der südlichen Uckermark besucht, der dieses Verfahren bei seinen Rindern einsetzt. Genauer gesagt geht es um das Gut Temmen, welches nach Bioland Richtlinien arbeitet. Ein 3.300 Hektar großer Betrieb, der nicht nur Acker- und Futterbau betreibt, sondern auch rund 300 Schweine hält sowie 1.500 Weiderinder der Rassen Uckermärker und Fleckvieh. “Für unsere Weiderinder ist das Verfahren optimal, auch wenn es einen Mehraufwand bedeutet. Doch wir wissen, wieso wir das machen. Für die selbstbewussten Tiere, die ganzjährig draußen leben, würde ein Verladen und der Transport doppelten Stress bedeuten, denn die kennen den Menschen nur von Weitem", sagt Konstantin, einer der beiden Betriebsleiter auf dem Hof. Aufgeteilt sind die Rinder auf drei Standorte, an denen sie das ganze Jahr unter freiem Himmel auf der Weide leben. An einem wurde eine Anlage errichtet, in der es nun erlaubt ist, die eigenen Weiderinder zu schießen. Und genau diese Einrichtung haben wir uns angeschaut, um bei einem Weideschuss dabei zu sein.
Auch, wenn der Name Weideschuss es anders vermuten lässt, wird auf dem Gut Temmen derzeit nicht direkt auf der Weide geschossen, sondern in einem eigens dafür angefertigten Gatter, das in unmittelbarer Nachbarschaft zur Rinderweide liegt. Dafür gibt es ganz genaue Vorgaben, wie das eingerichtet werden muss. Langfristig sollen die Rinder dann tatsächlich direkt auf der Weide geschossen werden.
Noch sind die Genehmigungsverfahren Neuland
Also zunächst zu den Formalitäten. Denn das ist nach wie vor das größte Hindernis, wenn es um den Weideschuss geht, da das Verfahren in Deutschland noch recht neu und daher nicht immer ganz klar ist, wie damit umgegangen werden muss. Die Beantragung der Weideschussanlage hat also einige Zeit in Anspruch genommen, da eine Vielzahl an Behörden involviert ist. “Uns hat das Genehmigungsverfahren über drei Jahre gekostet. Doch nachdem allen Beteiligten klar war, wie damit umzugehen ist, wurde die Anlage sofort als beispielhaft genehmigt”, sagt Ruven, der die Rinderherde am Standort Stegelitz betreut und den Weideschuss auf Gut Temmen durchführt. Und weiter fügt er hinzu: ”Es ist eine Verantwortung, die große Betriebe wie Gut Temmen, tragen und die häufig übersehen wird. Durch die Größe entstehen für uns Möglichkeiten, die andere nicht haben und so sind wir in der Pflicht, solche neuen Verfahren mit zu entwickeln, zu testen und Wege zu bereiten. Gerade für kleinere Betriebe, die diese Ausdauer gar nicht aufbringen können.” Doch nun ist es endlich soweit und seit April 2023 dürfen die Weiderinder ganz regulär geschossen werden.
So läuft es ab
Dafür wird eine vorab ausgewählte Gruppe von Tieren, die alle für den Abschuss geeignet wären, in das eigens dafür gebaute Rondell vor der Kanzel gebracht. Dies geschieht auf Gut Temmen früh morgens, in aller Ruhe und ohne jede Hektik auf einem Teil des Hofs, wo sonst nicht viel los ist. Nachdem die Tiere das mit Sand eingestreute Gatter neugierig beäugt haben, steigt Ruven in seine Kanzel, die wie ein Ansitz für Jäger:innen aussieht. Die Tiere sind nun maximal zwei bis 12 Meter von ihm entfernt und er nimmt sich die Zeit, sich zu konzentrieren und den richtigen Moment für den Weideschuss abzuwarten. Vorher gibt er einen Probeschuss auf eine Zielscheibe ab, um sich zu vergewissern, dass mit der Waffe alles in Ordnung ist. Begutachtet wird das Ganze von einer amtlichen Tierärztin, welche für die Überwachung der Schlachtung zuständig ist. Danach wartet Ruven ab, bis sich eins der Tiere aus der Gruppe separiert und genau zu ihm blickt. Das ist der Moment, in dem aufs Rind geschossen wird. Genau wie mit dem Bolzenschussgerät auf einen Punkt zwischen Augen und Hornanlagen. Das Tier sackt sofort zusammen und ist bereits betäubt, bevor es mit dem Kopf auf dem Boden aufkommt.
Dem Tier wird der Stress des Transports erspart
Nun kann Ruven mittels eines Schiebers noch aus seinem Hochsitz heraus das Tor öffnen, um die übrigen Rinder aus dem Rondell zu entlassen. Die haben beim Geräusch vom Schuss kurz gezuckt, sind ansonsten total ruhig geblieben und verlassen nun den Platz des Geschehens und zuckeln zurück Richtung Herde. Das eingeübte Hofteam verliert kein Wort und der bereitstehende Trecker naht bereits, um das betäubte Rind an den Hinterläufen am Frontlader aufzuhängen. Doch vorher prüft Ruven, ob der Schuss auch wirklich gesessen hat, indem er durch leichtes Antippen den Reflex am Augenlid testet und seine Finger in die Nasenlöcher des Rindes steckt. Gibt es auch nur den geringsten Zweifel an der Betäubung, kann sofort mit dem Bolzenschussgerät, das er vorsorglich in der Hand hält, nachgeschossen werden. Das anschließende Aufhängen ist nötig, um das Tier zu einer Plane zu bringen, die direkt neben dem Rondell ausgelegt wurde. Nun wird dem betäubten Rind ein kleiner Bruststich zugefügt, um es ausbluten zu lassen. Die Plane und bereitstehende Behälter fangen das Rinderblut auf. Denn auch das Blut muss, wie alle anderen Schlachtabfälle auch, entsorgt werden. Es wird später mit dem geschlachteten Rind auf einem spezielen Schlachtanhänger zum benachbarten Gut Kerkow gebracht, wo auch die weitere Verarbeitung des Tieres stattfindet. Erst hier, im Schlachthof bzw. in dem Fall in der Metzgerei von Gut Kerkow, wird das Rind aufgebrochen, die Innereien entnommen und die weitere Zerlegung vorgenommen.
Je häufiger die Tiere im Gatter waren, desto ruhiger gehen sie wieder hinein
Aktuell wird auf dem Gut Temmen wöchentlich ein Rind durch den Weideschuss erlegt. Ziel ist es, bis zu vier Tiere in der Woche auf diese Weise zu schlachten, sodass möglichst kein Weiderind den Hof mehr lebend verlässt. “Das hört sich erstmal verquer an, doch die Verantwortung für die Tiere in meiner Obhut beläuft sich in meinen Augen nicht nur auf ihr Leben, sondern auch auf ihren Tod. Und das hast du nur in der Hand, wenn die Tötung auch auf deinem Betrieb stattfindet", sagt Ruven. Auf die Frage, ob die Tiere, die mit im Rondell waren, aber nicht geschossen wurden, in Zukunft Angst vor diesem Ort hätten, begegnet Ruven, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Je häufiger ein Rind in dem Rondell war, desto entspannter geht es dort wieder hinein.
Ein sehr intimer und respektvoller Moment
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Weideschuss, abgesehen vom Probeschuss und dem eigentlichen Schuss zum Betäuben des Tieres, auf Gut Temmen eine recht stille Angelegenheit ist. Es wird möglichst wenig gesprochen, alle kennen ihre Handgriffe und die Anlagen und Abläufe sind derart optimiert, dass nicht viele Worte nötig sind. So kann das Aufkommen von Unruhe verhindert werden und die Tiere bleiben ganz entspannt. Das gibt einem das Gefühl, bei einer sehr intimen und respektvollen Handlung dabei gewesen zu sein, die den Rindern einen möglichst stressfreien Tod ermöglicht. Und so hoffen wir, dass in Zukunft auch Partnerbetriebe aus dem Meine kleine Farm Netzwerk künftig von dem Verfahren des Weideschuss Gebrauch machen können.
Josi •
Hallo Paul!
Danke für deine Nachfrage. Die Begriffe “Betäubung”, “Tötung” und “Schlachtung” sind in der Europäischen Union in der VERORDNUNG (EG) Nr. 1099/2009 DES RATES vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung definiert. Diese besagt, dass eine „Betäubung jedes bewusst eingesetzte Verfahren, das ein Tier ohne Schmerzen in eine Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit versetzt, einschließlich jedes Verfahrens, das zum sofortigen Tod führt" ist. Somit kann der Weideschuss als Betäubung geführt werden, auch, wenn der Schuss bereits zum Tod führt. Bei einer klassischen Schlachtung ist der Bolzenschuss die Betäubung und das anschließende Ausbluten die Tötung. Beim Weideschuss ist dies nicht besonders geregelt, sodass wir in unserem Blogbeitrag bei den üblichen Bezeichnungen geblieben sind.
Ich hoffe, deine Frage damit beantworten zu können.
Ahoink von
Josi aus dem MkF-Team
Paul •
Interessanter Beitrag. Was ich aber nicht verstehe, ist, warum die Tiere per Weideschuss erst betäubt und nicht gleich getötet werden und dann ausbluten. Dann ließe sich das Fleisch ggf. auch als halal deklarieren und man könnte sich eine weitere Käufergruppe erschließen.