So liebe Leute, das wird heute mal ein längerer Text, denn mir ist es wichtig, die Hintergründe der gestrigen Proteste von Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind sowie deren vor- und nachgelagerten Bereichen genau zu erläutern und somit ein möglichst umfassendes Bild zu vermitteln. Auch, um der demokratiefeindlichen Hetze, die derzeit die Runde macht, sachliche Argumente entgegenzusetzen. Dabei möchte ich mich allerdings auf den Landwirtschaftssektor begrenzen, denn nur hier kann ich fundierte Aussagen treffen.
Was war der Katalysator?
Der Grund, weshalb viele Landwirt:innen in Rage geraten sind, waren die ursprünglich geplanten Sparmaßnahmen der Bundesregierung, die in zwei Punkten auch den Landwirtschaftssektor unmittelbar betroffen hätten. Der Auslöser, weshalb im Bundeshaushalt 2024 kräftig der Rotstift angesetzt werden muss, ist inzwischen hinlänglich bekannt. So sollte zum einen die Steuerbefreiung auf landwirtschaftlich genutzte KFZ gestrichen werden und zum anderen die Steuervergünstigungen für Diesel, der in der Landwirtschaft verbraucht wird. Dies hätte insgesamt rund 935 Millionen Euro Entlastung für den Bundeshaushalt bedeutet, indem man sich Einnahmen i.H.v. 450 Mio. € durch die KFZ-Steuer versprach und weitere 485 Mio. € durch die Rücknahme der Steuerbegünstigungen eingespart werden könnten. Bereits kurz nach Veröffentlichung des überholten Haushaltsentwurfs am 15.12.23 regte sich Protest, vor allem aus der Ecke der Landwirtschaft. Während am 04.01.24 daraufhin die Steuerbefreiung von landwirtschaftlich genutzten KFZ in Gänze zurückgenommen wurde, hat man sich bei der Abschaffung der Agrardieselsubvention auf ein schrittweises Vorgehen geeinigt. Die Rückvergütung von 21,48 Cent/ Liter Diesel soll im kommenden Jahr 2024 um 40 % gekürzt werden. In den Folgejahren dann jeweils um 30 %, sodass ab 2026 keine Steuerrückzahlungen mehr erfolgen.
Worin liegt die Ursache?
Die eigentliche Ursache, weshalb Landwirt:innen ihrem Unmut Luft machen, sind langfristig gesehen allerdings die geringen Produktpreise, weshalb sie finanziell stark von Subventionen und Entlastungen abhängig sind. Durchschnittlich wird die Hälfte des Gewinns eines landwirtschaftlichen Unternehmens durch Subventionen erwirtschaftet. Dabei profitieren vor allem große bis extrem große Betriebe, wie sie vor allem hier bei uns im Osten gang und gäbe sind, da die europäischen Direktzahlungen aus der GAP (1. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik) nach wie vor an den Umfang der bewirtschafteten Fläche und nicht an die erzielten Umweltleistungen geknüpft sind. Denn ja, Agrarpolitik ist vor allem EU-Politik, auf die die einzelnen Mitgliedstaaten nur mittelbaren Einfluss haben. Und strenge Regelungen der World Trade Organization (WTO), die “ein faires und marktorientiertes Agrarhandelssystem” sicherstellen sollen, zwingen die Europäische Union nahezu dazu, dass die Fläche, losgelöst von der darauf stattfindenden Produktion gefördert wird. Gleichzeitig ist hier festgelegt, dass die EU ihren Agrarmarkt ggü. Drittländern nicht abschotten darf.
Doch warum überhaupt fördern?
Nachdem im Jahr 2022 in der Landwirtschaft Rekorderlöse erzielt wurden, ging der durchschnittliche Gewinn eines landwirtschaftlichen Unternehmens 2023 leicht (-2%) zurück. Nun haben viele Landwirt:innen die Befürchtung, dass sich die Preise zurück auf das geringe Ausgangsniveau für landwirtschaftliche Erzeugnisse entwickeln könnten, nachdem die Branche bereits seit Jahrzehnten in der Krise steckt. Hervorgerufen durch den Spagat zwischen dem Anspruch an eine ökologische Transformation und dem Schritthalten am Weltmarkt, auf dem mit Staaten konkurriert wird, in denen keine Regulierung der Produktionsbedingungen vorherrscht. Das führt in Konsequenz durch Spezialisierung, Wachstum von Unternehmensgrößen und Technisierung zu immer weiter sinkenden Preisen bei gleichzeitig gestiegener Bürokratie, Vorschriften an Dokumentation und Kontrolle. Was dabei verloren geht, ist der Spaß an der Arbeit, das Tierwohl und eine zukunftstaugliche Bewirtschaftung der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Gleichzeitig liegt das Durchschnittseinkommen in der Landwirtschaft ca. 40 % niedriger als das Niveau, gemessen an der Gesamtbevölkerung. Und das, obwohl der größte Teil der GAP-Zahlungen bereits die Einkommensbeihilfen für Landwirt:innen ausmacht. Die Einkommenssituation auf kleinbäuerlichen Betrieben mit geringer Flächenausstattung ist prekär.
Warum kann man die schrittweise Rücknahme der Subventionen auch befürworten?
Der Grundgedanke, dass klimaschädliches Verhalten wie das Verbrennen fossiler Rohstoffe nicht weiter gefördert werden sollte, ist nachvollziehbar und im Grunde auch richtig. Doch stehen im günstigsten Fall bereits Alternativen zur Verfügung, auf die stattdessen ausgewichen werden kann. Dies ist im Falle der Landwirtschaft nicht so. Während Privatpersonen auf E-Autos, Fahrrad und ÖPNV umsteigen können, ist der Agrarsektor nach wie vor vom Verbrennungsmotor abhängig. Ja, es gibt inzwischen eine Forschung, die den Einbau von Brennstoffzellen für Wasserstoff in Landmaschinen testet. Doch von der Marktreife ist diese Technik noch weit entfernt. Abgesehen von der dafür benötigten, aber bisher nicht vorhandenen Wasserstoff-Infrastruktur. Und ja, es gibt bereits erste Werkstätten, die eine Umrüstung von Traktoren auf E-Motoren anbieten. Doch zu einem nicht konkurrenzfähigen Preis. Schlägt ein durchschnittlich ausgestatteter Schlepper mit 150.000 bis 200.000 € Neupreis bei oben beschriebener Einkommenssituation bereits heftig zu Buche, stellt ein E-Traktor, der in der Anschaffung rund 495.000 € kostet, ein finanziell nicht stemmbares Unterfangen dar. Auch, wenn die Subventionen auf Agrardiesel in der Regel nur 3 bis 5 % zum Gewinn eines landwirtschaftlichen Betriebes beitragen, so ist der finanzielle Rahmen vor allem bei kleinen Betrieben, die nicht von der oben beschriebenen Flächenprämie profitieren, bereits so eng gesteckt, dass diese 3 bis 5 % ausschlaggebend für den Fortbestand des Hofes sein können. Eine Abschaffung der Steuererleichterungen für Agrardiesel innerhalb dieser kurzen Zeit, ohne dass realistische Alternativen zur Verfügung stehen, kann also tatsächlich zum Scheitern weiterer (kleinbäuerlicher) Betriebe beitragen.
Was sagen unsere Landwirt:innen?
Natürlich habe ich auch mit unseren Landwirt:innen über das Thema gesprochen. Auch sie sehen die Proteste sehr ambivalent. So sagt Henrik Staar vom Gut Hirschaue: “Der Agrardiesel ist inzwischen doch gar nicht mehr das Hauptargument. Es geht viel mehr um die Offenbarung, wie anfällig die Struktur in der Landwirtschaft durch die Agrarpolitik der letzten 30 Jahre geworden ist. Wenn bereits die Streichung so geringer Subventionsmengen ausreichen, um ein System zum wackeln zu bringen. Jetzt stellen wir fest, was passiert, wenn bestehende Subventionen ausbleiben: Als Teil des Weltmarktgeschehens sind die meisten an dessen Preise gebunden und können dort nicht mehr mithalten.” Laut Henrik wäre hier die Lösung, wieder in kleineren Strukturen wie bei MeinekleineFarm zu denken und zu handeln. “Also Preise rauf, Subventionen runter und selbst zusehen, wie man die Ware vermarktet.”
Auch Fabian Pruns vom Gut Kerow betrachtet die Debatten mit einigem Abstand. Zum einen, weil er in keine komische Ecke gestellt werden will. Denn inzwischen sind die Proteste der Landwirt:innen durch eine ganz merkwürdigen Szene gekapert worden. Zum anderen mahnt auch er an, dass es sinnvolle Alternativen geben müsste, um ein neues System zu etablieren, bevor das alte System schrittweise abgebaut werden kann.
Johann Gerdes vom Beerfelder Hof, wurde sogar in die Phönix Runde eingeladen und erzählt dort von seiner Sicht auf die Dinge. Das Video zum nachschauen findest du hier.
Und warum erzähle ich das alles?
Ich habe mich in diesem Text lediglich darauf beschränkt, an der Oberfläche zu kratzen und nur einen groben Überblick über die Hintergründe der Subventionspolitk im Agrarsektor zu geben. Die Ursachen der Herausforderungen in der Landwirtschaft sind so vielschichtig, so verworren und komplex, dass es mit einfachen, populistischen Phrasen, wie sie von Rechtsaußen gerufen werden und sich leider häufig in den Köpfen verfangen, eben nicht getan ist. Es besteht die Gefahr, dass der Protest von demokratiefeindlichen Bewegungen und Rechtsextremen instrumentalisiert wird, was dem legitimen und friedlichen Begehren der Landwirt:innen schadet. Daher ist es wichtig, genau hinzuschauen, wer mit welchem Ziel auf die Straße geht und sich nicht mit Populist:innen gemein zu machen, die scheinbar einfache Lösungen für komplexe Themen bereit halten. Ich hoffe, mit meinem Blogbeitrag einen Teil dazu beitragen zu können, dass besser zwischen holen Parolen und berechtigtem Protest unterschieden werden kann.
Was kannst du tun?
Neben dem Kauf ökologischer Lebensmittel aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft kannst du deinen Wünschen am 20.01.2024 ebenfalls lautstark Gehör verschaffen. Da findet nämlich die “Wir haben es satt” Demo in Berlin statt. Seit Jahren treffen sich hier Tausende Menschen in der Landeshauptstadt, um ihrem Protest gegenüber dem Höfesterben, der steigenden Bürokratie und dem Einzug der Gentechnik in die Landwirtschaft Ausdruck zu verleihen. Wenn du mehr über die Whs erfahren möchtest, dann klicke einfach auf den untenstehenden Link:
"Wir haben es satt" am 20.01.2024.
Es grüßt euch Marketing-Schwein Josi :)
FALK GEBHARDT •
Eine knappe aber sehr gute Beurteilung der jetzigen Situation. Die Gefahr, dass die berechtigten Forderungen der Landwirte “gekapert” werden ist sehr hoch. Leider werden über diese in den meisten Medien nur unkommentiert berichtet, – eine Gefahr für unsere Demokratie und die Gesprächskultur.