Vor genau fünf Jahren, am 18. November 2011, wurde Schwein 1 in der Metzgerei Zimmermann geschlachtet. An sich keine große Sache: Wie alle Schweine, die Bauer Bernd Schulz morgens um halb sechs in Görzke anlieferte, wurde auch Schwein 1 mit einer Stromzange betäubt, blutete aus und wurde dann zu Wurst verarbeitet. Handwerklich gekochte Wurst, die genauso gut und ehrlich schmeckte, wie die der anderen Freilandschweine von Bauer Schulz. Und doch begann mit Schwein 1 eine kleine Wurstrevolution.
Denn auf den Gläsern dieser Wurst klebte ein Foto von Schwein 1. „Diese Wurst ist aus diesem Freilandschwein gemacht“, war da zu lesen. Erstmals in der Geschichte des Fleischkonsums konnten die Menschen genau das Tier sehen, welches sie sich gleich aufs Brot schmieren würden. MeinekleineFarm.org hat vor fünf Jahren als wohl erste Wurstfirma der Welt Fleisch ein Gesicht gegeben.
Vor gut fünf Jahren stand ich mit Bauer Schulz auf seinem Acker und knipste das gefleckte Schwein 1, das Bernd kurz zuvor mit seinen Tiermarkierungsspray verziert hatte.
Warum man seiner Wurst in die Augen gucken soll? Weil Fleisch Wertschätzung verdient hat. Weil die Tiere, dessen Fleisch wir essen und die wir zu diesem Zwecke töten, es verdient haben, artgerecht und würdevoll aufzuwachsen. Dass sie sich nicht als bloße auf maximalen Profit optimierte Biomasse in Rekordgeschwindigkeit zur Mastreife quälen, sondern dass man ihnen Zeit und frische Luft zum Atmen gewährt.
Schweineidylle auf dem Acker von Bauer Schulz, mit dem vor fünf Jahren alles anfing.
Über die Fotos der Tiere, die auf den entsprechenden Fleisch- und Wurstwaren von MeinekleineFarm.org zu sehen sind, versuchen wir ein wenig Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema in den Köpfen der Menschen zu erhaschen. Die Fotos wirken zunächst verstörend oder gar provokant. Doch sollen sie lediglich zum Nachdenken anregen. Wie sind eigentlich jene Schweine aufgewachsen, deren Filet für 6,99€/kg im Discounter zu haben ist? Die Antwort würde jedem den Appetit verderben.
So sorgen wir für ein neues BeWurstsein, nach dem Motto: Weniger Fleisch, mehr Respekt. Fleisch ist der Porsche unter den Lebensmitteln, wir müssen es nicht täglich essen. Folglich können wir auch mehr dafür bezahlen. (Man beachte: „Mehr“ ist relativ, denn beim Industriefleisch sind die Kosten für Umweltzerstörung, Antibiotikaresistenz und Klimawandel zunächst nicht enthalten, dafür kommt der Steuerzahler indirekt auf.)
Doch zurück zu Schwein 1, dass gezeigt hat, wie sehr wir mittlerweile entkoppelt sind vom Ursprung unserer Nahrung. Früher gingen die Leute zu ihrem Bauern, zeigten auf ein Schwein und bekamen dann davon Fleisch und Wurst fürs Jahr. In der heutigen Supermarktgesellschaft ist der Weg vom Tier bis zur Wurst im Regal weit und undurchsichtig. Was früher normal war, sorgte jetzt für Aufsehen: Man sieht das Tier, welches man isst?
Schwein 2, Schwein 3, Schwein 4 und viele weitere Schweine von Freilandbauer Schulz waren regelrechte Rampensäue. Die Journalisten kamen in Scharen: Schwein 2 ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als Fotografen und Kamerateams für Zeitungsleser sowie Radio- und Fernsehzuschauer dabei waren, als Bauer Schulz es auf seinen kleinen Hänger trieb. Ja, dieses Schwein wird morgen tatsächlich geschlachtet, weil Menschen sein Fleisch essen wollen! In den großen Schlachthöfen werden täglich über 10.000 Schweine geschlachtet. Nur weil das Gesicht von Schwein 2 auf „seiner“ Wurst zu sehen sein sollte, wurde seine Geschichte erzählt.
Schwein 3 war eine echte Rampensau. Es nahm den Presserummel aber professionell gelassen.
Fast alle Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender Deutschlands berichteten in den ersten Jahren über MeinekleineFamr.org und das Fleisch mit Gesicht – und verschafften unserer Botschaft – Für ein neues BeWurstsein! – eine enorme Reichweite. Ich war in der NDR-Talkshow, Al Jazeera war da und BBC Radio ließ mich nach dem Pferdefleischskandal zu Transparenz in der Fleischproduktion sprechen. Als Bauer Schulz dann anrief, weil ein Korrespondent der Chinesischen Volkszeitung bei ihm auf dem Acker stand, glaubte ich es kaum.
BeWurste Prominenz: Adele Neuhäuser (u. a. Tatort) und Charly Hübner (u. a. Polizeiruf 110) mit mir und den Schweinen 22, 33 und 26 (v. l. n. r.) nach der NDR-Talkshow im Jahr 2013.
Ich habe MeinekleineFarm.org als kleine Idee gestartet, die dazu beitragen soll, dass Menschen weniger Fleisch, dieses aber aus artgerechter Haltung essen. (Denn das wirklich große Problem hinter dem zu hohen Fleischkonsum ist die extreme Umweltbelastung durch die industrielle Produktion.) Nun überrollte uns eine Pressewelle nach der anderen, der Server unserer Webseite brach in den Stunden nach der Ausstrahlung der TV-Sendungen zusammen und wir waren ständig ausverkauft.
Wir sind doch kein Großunternehmen! Statt 10.000 pro Tag gingen bei uns nur etwa 250 Schweine den Tisch - in 5 Jahren. (Heute, auf den Tag genau 5 Jahre nach Schwein 1, ist Jagdwurst-Schwein 249 dran.) Kleiner Bauer, kleiner Metzger, gemach, gemach! Auch haben wir uns aus eigener Tasche finanziert, waren ein kleines Team, das fast nur ehrenamtlich nach der eigentlichen Arbeit Schweineaufkleber auf die Wurstgläser geklebt und Pakete gepackt hat.
Vielleicht war es ein Fehler, dass wir damals nicht nach Investoren bzw. Wachstumskapital gesucht haben. Noch heute geht es uns vor allem um den Spaß beim Verbreiten des neuen BeWurstseins, um gute Stimmung und Vertrauen im Team. Wir wollten uns nicht in fremde Abhängikeiten verwickeln, hatten Angst, das Investoren unsere Mission verwässern würden. (Als wir doch einmal mit einem potentiellen Investor sprachen, forderte dieser tatsächlich als erstes, dass wir mit dieser Gesichtgeberei aufhören. Fotos machen, Aufkleber produzieren: viel zu kostspielig! Doch dieser Aufwand, der betriebswirtschaftlich unsinnig sein mag, ist Ausdruck unserer Wertschätzung für die Tiere.)
Also wuchsen wir langsam. Weitere Bauern meldeten sich bei uns und wollten mitmachen, weil sie über MeinekleineFarm.org die Wertschätzung für Fleisch fördern wollen. Mittlerweile sind acht ganz liebenswerte Höfe, für die ihre Tiere mehr sind als nur eine Ware, unsere Partner. Wir bieten auch Rindfleisch an, auch Lammfleisch gibt es ab und zu. In den fünf Jahren unseres Bestehens haben wir mit gut 250 Freilandschweinen Fleisch und Wurst ein Gesicht gegeben – das entspricht ca. einem Schwein pro Woche.
Ganz viel Dankbarkeit gebührt euch, liebe beWursten Kunden! Denn ohne euch könnten wir den Tieren keine Wertschätzung in Form von Gesichtsaufklebern finanzieren, kein BeWurstsein verbreiten, könnten die kleinen Bauern und Metzger nicht bestehen im Wettbewerb mit der Großindustrie. Ihr macht es möglich, dass wieder mehr Menschen anständiges Fleisch essen. Als kleines Dankeschön haben wir euch zwei Jubiläumspakete zusammengestellt: die beliebtesten Wurst-mit-Gesicht-Sorten, mit denen sich fünf Jahre MeinekleineFarm.org richtig gut feiern lassen!
PS: Freut euch auf einen der nächsten Newsletter: Wir haben eine große Überraschung für euch, welche die Transparenz und das BeWurstseins bei MeinekleineFarm.org auf eine neue Stufe heben wird. Noch
Dennis von MeinekleineFarm.org •
Hallo Arno,
man kann sich noch immer über die einzelnen Tiere informieren, die entsprechenden Info-Seiten findest Du unter dem Reiter “Tiere” und dann unter dem Link zu den Schweinen. Anders als früher aber immer noch da :)
Traugott Neu •
Hallo, Ihr kleinen Schweinchen,
Habe mich sehr über Euren 5-Jahresbericht gefreut. Am liebsten möchte ich wieder etwas bestellen, aber im Moment ist mein Geldbeutel etwas schlapp. Wenn ich wieder mehr drauf habe wird auch wieder eine Bestellung bei Euch ankommen, dann schicke ich Euch auch die Kühlakkus wieder zurück. Weiterhin alles Gute für Euch und weiterhin viel Erfolg. Herzlichst Euer
T.Neu
Dirk v. Bröckel •
Tolle Sache! Unbedingt weitermachen.
Und schmecken tut es auch noch….
Arno.Nyhm •
Schade dass es nicht mehr die Möglichkeit gibt sich über jedes Schwein/Rind einzeln zu informieren. Sie sind nur noch als Nummer in einer Auswahlbox im Shop zu sehen.
Es wäre schön wenn man weiterhin zu jedem Schwein Infos und eine Biographie lesen könnte.